von Heinke Schütte-Hamburg
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23. Juni 2021
Ich sammle gerade Federn auf meinen Spaziergängen am Morgen. Unglaublich, wieviele man findet, wenn man sich erstmal dazu entschieden hat :o) Heute Morgen habe ich eine völlig zerzauste Feder aufgehoben und überlegt, ob sie es wert ist, mitgenommen zu werden. Aber wenn man Federn oft genug durch die Finger streicht und dabei den Schmutz entfernt, bemerkt man, dass sich dabei die Fahne der Feder verändert. Sie ist nämlich ausgestattet mit Bogen- und Hakenstrahlen, die in einander greifen und so das bekannte, schönere Bild der geschlossenen Oberfläche bilden. Genau dieses von unnützem Schmutz befreien, von Parasiten reinigen und wieder zusammenfügen der losen Anteile tut der Vogel jeden Tag viele Male. Seine Schwanz- und Flügelfedern ermöglichen ihm nun sauber, harmonisch verbunden, eine neben der anderen, durch eine leichte Wölbung einen Sog nach oben und einen Druck von unten aufzubauen. Jeder gesunde Vogel weiß, dass diese Selbstpflege, die Aufmerksamkeit, die sie sich selber schenkt, ihm erst ermöglicht, geschmeidig und voller verspielter Energie durch die Luft zu gleiten. Das Fliegen ist für viele von uns der Inbegriff der Freiheit. Nur sehen wir oft nicht, was für ein großes Maß an Mühe und Zeit kostet, die es den Vögeln erlaubt, diese höchste Freiheit zu erlangen. Er tut es für sich, denn auch er liebt sicher dieses Gefühl der Schwerelosigkeit. "Schwere -los"... ...was wohl wäre, wenn wir nun lernen würden, auch diese Zeit in die Pflege unseres Selbst zu stecken? Wenn wir uns die Zeit nähmen uns, unseren Körper und vor allem unsere Gedanken zu pflegen? Wenn wir die Gedanken anerkennend betrachten, die uns immer wieder herunterzuziehen scheinen, die alten Wunden, die Verletztheit, die Last der Schuld und der Wunsch nach Gerechtigkeit. Sie sitzen wie Parasiten in unseren Köpfen. Sie kleben als Schmutz an unseren Federn. Sie machen es uns unmöglich, unseren Verstand und unser Herz frei genug sein zu lassen, um zu unserem höchsten Wohlbefinden aufzusteigen, Kreise durch die Luft zu ziehen und unbeschwert unseren Träumen entgegen zu fliegen. Ich bin unendlich viele Runden gegangen in meinem Kopf. Hauptsächlich war ich traurig, enttäuscht und ich fühlte mich unendlich verlassen. Meine Geschichte hat mich vor 8 Jahren eingeholt. Mein Unterbewusstsein gab unerwartet Preis, was es vorher viele Jahre zurückgehalten hatte, um mich zu schützen vor unfassbaren Bildern und schmerzhaften Erinnerungen. Immer wieder kreisten mein Gedanken, mit den eigentlich immer wieder gleichen Fragen, auf die ich mir selber keine Antworten geben konnte. Und gerade das machte es so frustrierend und ziellos. Ich hatte versucht an meine Wurzeln zu gehen und meine Mutter gebeten, mir zu helfen, es zu verstehen. Doch auch wenn ich keine Vorwürfe gegen sie in mir trug, war es für sie unmöglich, offen zu bleiben und an meiner Seite zu stehen. Zu groß war ihr eigener Vorwurf gegen sich selbst. Also stand ich alleine und kreiste weiter... Aber ich traf Menschen, las Bücher, ging in Therapie und besuchte Fortbildungen, denn ich merkte, dass ich um die Gegenwart glücklich leben zu können, das Alte annehmen und loslassen musste. Jede Phase meiner emotionalen Verarbeitung erscheint mir auch heute noch als wichtig, aber ich wünschte mir doch, damals jemanden gehabt zu haben, der mir geholfen hätte, ein paar Abkürzungen zu nehmen. Letztlich geht es darum, uns selbst mit soviel Liebe zu begegnen, wie wir es als Kind verdient hätten. Die Antworten auf all unsere Fragen liegen in uns selbst. Und die immer wieder kehrenden Fragen sollten nicht sein: warum hast du das getan oder warum hast du mir nicht geholfen? Das Kind in uns möchte die Antwort hören, aber jetzt sind wir nicht mehr Kind. Jetzt übernehmen wir selbst das Ruder und stellen andere Fragen. Wann endlich entscheiden wir uns dazu, unsere eigenen Federn zu glätten, weil unser Wunsch nach Freiheit größer ist, als die Wut und die Trauer? Wann wagen wir es die dunklen Gedankenkreise aus Selbstmitleid und Vorwurf zu verlassen? Wann erkennen wir, dass es allem voran die liebevolle Selbstkontrolle ist, die unsere Gedanken bereinigt, unser Herz frei und leicht macht und uns das Fliegen lehrt? Lassen wir das Schwere los und lernen wir selbst die Verantwortung für unser Denken und Handeln, für jede Entscheidung und jeden Blickwinkel zu übernehmen, erst dann haben wir die Kontrolle zurück! Dann treffen wir im Hier und Jetzt die Entscheidungen für unser Leben und nicht länger das verletzte Kind in uns, das so gerne geliebt und gesehen werden wollte. Und noch wichtiger als das Loslassen ist die Liebe. Die Liebe zu uns und zu dem Leben das wir so gewählt haben. Betrachten wir unser Leben mit Liebe und Anerkennung, dann kommt das Gefühl der wahren Freiheit endlich in uns an und wir haben gewonnen über die Dämonen der Vergangenheit. Aber ja, auch der Parasit muss erst gesehen werden, bevor wir ihn bewusst entfernen können. Doch oft zu lange wiederholen wir so viele traurige und wütende Gedankenkreise in uns, bis wir endlich verstehen, dass sie uns einengen, uns am Boden halten und uns letztlich von unserem wahren Potential und unseren Fähigkeiten distanzieren. Willst du also wirklich fliegen lernen, dann nimm an was war, öffne dich der Veränderung, pflege deine Gedanken und deiner Körper mit Liebe und Anerkennung und triff jeden Tag auf´s Neue bewusst nur Entscheidungen, die dir und deinem Traum von einem erfüllten Leben dienen. Voller Liebe und mit der nötigen Beharrlichkeit putzt der Vogel täglich seine Federn und fügt die losen Enden wieder zusammen, unermüdlich. Diese Zeit, ist es ihm wert, sich selbst zu fühlen, sich selbst in seiner größtmöglichen Schönheit erscheinen zu lassen. Und dann sitzt er mit glänzendem Gefieder, stolz und voller Zuversicht auf seinem Baum, bereit jederzeit seine verspielten Bahnen im Himmel zu ziehen.